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Leserbrief: Krankenkassen machen Werbung für Arzneimittel

Fragen von Dr. S aus B.: >> Wir haben in unserer internistischen Praxis ein Schreiben von zwei großen Krankenkassen erhalten, in dem ziemlich offen zwei neue Arzneimittel zur Cholesterinsenkung der Firma Daiichi Sankyo beworben werden (Nilemdo® und Nustendi®). Ich frage mich, welches Interesse Krankenkassen haben, ein neues, teures Präparat anzupreisen, dessen Kosten-Nutzen-Relation m.E. umstritten ist. Noch dazu wird in einem Schreiben ein neuer „optimaler“ LDL-Cholesterin-Wert von140 mg/dl in den Raum gestellt, der von keiner Leitlinie oder Fachgesellschaft empfohlen wird. <<

Antwort: >> Von den Krankenkassen werden die zwei zentralen Aspekte im weiten Feld des Managements von Fettstoffwechselstörungen angesprochen: die LDL-Cholesterin (LDL-C)-Zielwerte und die beste Wirkstoffwahl zur Senkung erhöhter Lipide. Bei solchen Bewertungen muss berücksichtigt werden, dass Krankenkassen auch die Kosten-Nutzen-Relation (Effizienz) im Auge haben müssen.

Der genannte „optimale LDL-C-Wert“ stammt aus einer prospektiven dänischen Kohortenstudie, in der über 108.000 Personen (mittleres Alter 58 Jahre, 9% mit atherosklerotischer Vorerkrankung, 12% nahmen einen Lipidsenker ein) über einen Median von 9,4 Jahren beobachtet wurden (Copenhagen General Population Study; 1). In dieser Zeit starben 10,5% der Personen im Median mit 81 Jahren. Die Autoren analysierten die Beziehung zwischen dem Ausgangs-LDL-C-Wert und dem Tod aus allen Ursachen. Dabei zeigte sich eine U-förmige Beziehung: Das höchste Sterberisiko hatten Personen mit sehr hohen und sehr niedrigen LDL-C-Werten; das geringste mit einem LDL-C-Wert von 140 mg/dl. Höhere LDL-C-Werte waren zudem mit einem höheren Risiko für Myokardinfarkt und kardiovaskuläre Todesfälle verbunden (exponentielle Beziehung). Die Autoren schlussfolgern, dass bei Personen mit einem ansonsten geringen Risiko für atherosklerotische Erkrankungen ein LDL-C-Wert von 140 mg/dl „günstig“ ist. Eine Indikation für eine lipidsenkende Therapie besteht nur bei Personen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. Die Behandlung mit Lipidsenkern ausschließlich auf der Grundlage eines moderat erhöhten LDL-C-Werts sollte nicht stattfinden. Diese Einschätzung deckt sich mit der unsrigen (vgl. 6).

Die beiden genannten neuen Arzneimittel enthalten Bempedoinsäure (Bem), allein (Nilemdo®) oder in Kombination mit Ezetimib (Nustendi®). Beide wurden 2020 zentral in der EU zugelassen für Erwachsene mit primärer Hypercholesterinämie (heterozygot familiär und nicht familiär) oder gemischter Dyslipidämie, zusätzlich zu einer lipidsenkenden Diät. Bem kann zusätzlich zu einem Statin (oder einem anderen Cholesterinsenker) verordnet werden, wenn die Patienten die LDL-C-Zielwerte mit der maximal verträglichen Statin-Dosis nicht erreichen, entweder allein oder in Kombination mit Ezetimib. Weiterhin kann Bem auch allein verordnet werden bei Patienten, die Statine nicht vertragen oder bei denen sie kontraindiziert sind (2, 3).

Bem reiht sich ein in eine Vielzahl von Wirkstoffen, die zwar nachweislich das LDL-C senken, aber entweder keinen oder einen unklaren klinischen Nutzen haben. Neben einigen älteren Wirkstoffen (Fibrate, Nikotinsäure, Cholestyramin, Östrogene, Thyreomimetika, Ezetimib) zählen auch drei neuere dazu: PCSK9-Hemmer (vgl. 4), das von uns noch nicht besprochene Inclisiran (ein monoklonaler Antikörper gegen Angiopoietin-like protein) und Bem. Die wachsende Vielfalt der therapeutischen Möglichkeiten zur LDL-C-Senkung und der unsichere bzw. fehlende klinische Nutzen bei den meisten dieser Wirkstoffe erinnert zunehmend an die Situation bei den vielen neueren Antidiabetika – wie übrigens auch das Ausmaß und die unseriöse Art des Marketings.

Bem ist ein sog. „first in class“-Arzneimittel. Es hemmt in seiner aktiven Form, dem Bempedoyl-CoA, das Enzym ATP-Citrat-Lyase in der Leber, ein Schlüsselenzym in der Cholesterinbiosynthese. Die Hemmung der Cholesterinsynthese findet „upstream“, d.h. 3 Schritte vor dem Ansatzpunkt der Statine statt (Hemmung der HMG-CoA-Reduktase). Durch die resultierende geringere Cholesterinkonzentration kommt es zu einer Überexpression von LDL-Rezeptoren und bei alleiniger Einnahme bei Statin-intoleranten Probanden innerhalb von 3 Monaten zu einer Senkung der LDL-C-Werte im Serum um etwa 20% bzw. um ca. 15%, wenn es zusätzlich zu einem Statin gegeben wird. Dies wurde in mehreren randomisierten, plazebokontrollierten Studien untersucht. Bislang nicht untersucht sind die Effekte von Bem auf die kardiovaskuläre Morbidität und Letalität (2, 3).

Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Senkung des LDL-C nur ein Surrogatendpunkt ist und dass eine generelle Beziehung zwischen Ausmaß der LDL-Senkung durch Arzneimittel und Reduktion von Morbidität sowie Letalität nicht besteht. Jeder Cholesterinsenker muss seinen Nutzen auf relevante klinische Endpunkte wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Gefäßinterventionen beweisen sowie auch seine Langzeitsicherheit. Bei den so häufigen Komplikationen der Atherosklerose sind solche Beweise zu erbringen und daher auch zu fordern. Die Tatsache, dass ein Laborwert „verbessert“ wird, rechtfertigt per se keine Verordnung von Arzneimitteln, ebenso wenig um konsensbasierte und nicht evidenzbasierte Zielwerte zu erreichen (vgl. 5).

Es bleibt noch die Antwort auf die Frage, warum sich die beiden Krankenkassen derart positionieren. Vermutlich geschieht dies aus ökonomischen Erwägungen. Bem verursacht Tagestherapiekosten von 4,50 €, PCSK-9-Hemmer sind 3-4fach teurer. Das Motiv ist zwar nachvollziehbar, führt jedoch hier zur Werbung für Arzneimittel mit fraglicher Nutzen-Risiko-Relation. Werbung für Arzneimittel ist keine Aufgabe von Krankenkassen. <<

Redaktionsschluss: 6.4.2021

Literatur

  1. Johannesen, C.D.L., et al. (CGPS = Copenhagen General Population Study): BMJ 2020, 371, m4266. Link zur Quelle
  2. Nilemdo, INN-bempedoic acid (europa.eu)
  3. Nustendi, INN-bempedoic acid/ezetimibe (europa.eu)
  4. AMB 2017, 51, 33 Link zur Quelle . AMB 2018, 52, 91. Link zur Quelle
  5. AMB 2019, 53, 73. Link zur Quelle
  6. AMB 2018, 52, 77 Link zur Quelle . AMB 2010, 44, 84. Link zur Quelle