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Pentosanpolysulfat zur Behandlung von chronischen Blasenschmerzen

Die Interstitielle Zystitis, auch als Blasenschmerz-Syndrom bezeichnet (Interstitial Cystitis/Bladder Pain Syndrome = IC/BPS), ist eine seltene, nicht infektiöse chronische Harnblasenerkrankung, die gekennzeichnet ist von Schmerzen mit Druckgefühl im Bereich der Harnblase, imperativem Harndrang und häufigem Wasserlassen, auch nachts (1, 2). Eine weltweit einheitliche Definition dieser Erkrankung existiert nicht. Bei einem kleinen Teil der Patienten zeigen sich zystoskopisch nach Harnblasendistension geschwürartige Läsionen in der Harnblase (Hunner-Läsionen) und Glomerulationen (punktförmige Schleimhautblutungen). Entscheidend für die Diagnose einer IC/BPS ist der Ausschluss von differentialdiagnostisch möglichen Erkrankungen wie Infektionen der Harnwege, Urolithiasis und Blasenkrebs. Die Pathogenese der IC/BPS ist bisher nicht geklärt; diskutiert werden neben einer Dysfunktion des Urothels u.a. infektiöse, hormonelle, vaskuläre, neurologische und traumatische Faktoren sowie Autoimmunprozesse. IC/BPS-Patienten leiden häufig an Begleiterkrankungen wie Fibromyalgie, chronischem Erschöpfungssyndrom und Reizdarmsyndrom. Frauen sind ungefähr neun Mal häufiger betroffen als Männer.

Bei bis zu 50% der Patient(inn)en bilden sich die Symptome spontan zurück. Therapeutisch werden empfohlen: Aufklärung über die Erkrankung, Ernährungs- und Sexualberatung, Physiotherapie und psychologische Betreuung sowie eine Behandlung der Schmerzen mit nichtsteroidalen Antirheumatika, Novaminsulfon und/oder Opioiden (1). Die Evidenzlage zur Behandlung der IC/BPS mit oralen Arzneimitteln ist dürftig. Diskutiert werden Amitriptylin, Antihistaminika und Pentosanpolysulfat (PPS). Bei Persistenz der Beschwerden wird u.a. zu intravesikalen Therapien und elektrischer Stimulation mittels einer Elektrode im Bereich des Sakralnerven S3 geraten (sog. sakrale Neuromodulation).

PPS (elmiron®) ist seit 2017 das einzige in Europa zugelassene Arzneimittel zur Behandlung von IC/BPS, sofern Glomerulationen oder Hunner-Läsionen vorliegen. PPS ist ein halbsynthetisches Polysaccharid, das chemisch und strukturell Heparin und Glykosaminoglykanen ähnelt. Es wird angenommen, dass PPS an die geschädigte Schleimhaut der Blase bindet und deren Barrierefunktion stärkt sowie zudem entzündungshemmend wirkt (3).

PPS ist kein neuer Wirkstoff: Es ist zur Behandlung der ICS/BPS seit 1993 in Kanada zugelassen, seit 1994 in Australien und seit 1996 in den USA (4). In europäischen Leitlinien wurde PPS seit 2004 außerhalb der Zulassung zur Therapie bei IC/BPS empfohlen (2). Außerdem wurde PPS als Medizinprodukt zur intravesikalen Therapie von IC/BPS eingesetzt, steht jedoch in dieser Anwendungsart nicht mehr zur Verfügung. Als orales Präparat (Pentosanpolysulfat SP 54) war es zur Behandlung peripherer arterieller Durchblutungsstörungen auf dem Markt, wurde aber inzwischen außer Vertrieb genommen. Daneben wird PPS zur topischen Behandlung von Venenentzündungen angewendet (Thrombocid®).

Die Zulassung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) von PPS bei IC/BPS (2) beruht auf sechs randomisierten, plazebokontrollierten Studien aus der wissenschaftlichen Literatur, die Patienten mit IC/BPS unterschiedlicher Definition eingeschlossen hatten. Vier Studien wurden in den Jahren 1987 bis 1993 mit 75 bis 155 Patienten durchgeführt. Die Methodik dieser Studien entspricht allerdings nicht heutigen Standards. So wurde bei drei vor Beginn der Untersuchung keine Hypothese formuliert und keine Berechnung der erforderlichen Fallzahl durchgeführt. Im Jahr 2015 wurde die größte Studie mit 369 Patienten veröffentlicht, in der zwei Dosierungen von PPS (100 mg/d und 300 mg/d) gegen Plazebo untersucht wurden. Die Wirksamkeit wurde ausschließlich anhand der subjektiven Beschwerden der Patienten beurteilt, die mit dem Interstitial Cystitis Symptom Index (ICSI) erhoben wurden. Nach 24 Wochen zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsgruppen und Plazebo (Ansprechraten 39,8% und 42,6% vs. 40,7%). Die Studie wurde wegen fehlender Wirksamkeit vorzeitig beendet.

Für die Zulassung wurden vom pharmazeutischen Unternehmer mehrere Metaanalysen durchgeführt. Eine Metaanalyse basierte auf vier der älteren Studien mit insgesamt 454 Patienten, zu deren Einschlusskriterien eine Zystoskopie mit Nachweis von Hunner-Läsionen und Glomerulationen gehörten. In dieser Metaanalyse zeigte sich unter PPS bei einem von drei Patienten (33%) eine subjektive Besserung der chronischen Blasenschmerzen verglichen mit einem von sechs (16%) unter Plazebo. Der zuständige Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA sah die Wirksamkeit von PPS trotzdem zunächst als nicht ausreichend belegt an. Erst nach Hinweis einer von der EMA einberufenen Expertengruppe auf den ungedeckten therapeutischen Bedarf – es waren bis dato keine Arzneimittel zur Behandlung der IC/BPS zugelassen – bewertete der Ausschuss das Ergebnis der Metaanalyse als klinisch relevant und empfahl, PPS doch für die Anwendung in der Europäischen Union zuzulassen.

Zu den häufigsten Nebenwirkungen von PPS gehören Kopfschmerzen, Schwindel und Haarausfall sowie Störungen des Gastrointestinaltrakts, wie beispielsweise Durchfall, Übelkeit, Unterleibsschmerzen und rektale Blutungen (3). Da es möglicherweise einen leichten antikoagulatorischen Effekt hat, darf es nicht bei blutenden Patienten eingesetzt werden. Menstruation ist keine Gegenanzeige. Ein aktueller Rote-Hand-Brief informiert über seltene Fälle von pigmentärer Makulopathie unter der Anwendung von PPS, die insbesondere nach Langzeitanwendung auftraten (6).

Da PPS kein neuer Wirkstoff ist, erfolgte keine frühe Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Eine Behandlung mit PPS (elmiron®) kostet pro Tag ca. 21 € und ist damit fünfmal teurer als das orale Präparat von PPS zur Behandlung peripherer arterieller Durchblutungsstörungen (Pentosanpolysulfat SP 54), das im Januar 2018 durch den pharmazeutischen Unternehmer vom Markt genommen wurde (5).

Fazit: Die Wirksamkeit von Pentosanpolysulfat (PPS) bei der Interstitiellen Zystitis mit chronischen Blasenschmerzen (IC/BPS) ist unklar. In einer neueren Studie zeigte sich im Vergleich zu Plazebo kein Unterschied. Die initiale Therapie sollte den Lebensstil verändernde, physikalische und/oder psychologische Maßnahmen sowie eine Schmerztherapie beinhalten (1, 4). Bei einer Behandlung der IC/BPS mit PPS sollte das Ansprechen alle sechs Monate überprüft und die Therapie nur solange fortgesetzt werden, wie eine Wirksamkeit anhält (3). Für uns ist die Wirksamkeit nicht belegt.

Literatur

  1. https://www.awmf.org/… Link zur Quelle
  2. https://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
  3. Fachinformation elmiron® 100 mg Hartkapseln, Stand März 2019. Link zur Quelle
  4. https://www.kbv.de/media/sp/WirkstoffAktuell _Pentosanpolysulfat_Natrium.pdf Link zur Quelle
  5. Fricke, U., et al.: Neue Arzneimittel 2017. In: Schwabe, U., Paffrath, D., Ludwig, W.-D., Klauber, J. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2018. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2018, S. 53.
  6. https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/ DE/RHB/2019/rhb-elmiron.html Link zur Quelle